D 10NEU: Links, grün, feministisch: Die Freiheit von Frauen schützen – Verbot der Vollverschleierung in öffentlichen Gebäuden
Veranstaltung: | Landesparteitag |
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Tagesordnungspunkt: | Anträge |
Antragsteller*in: | Sybille Duckek (KV Plö), Ute Lefelmann-Petersen (KV Plö), Thomas Rulle (KV Plö), Jens Ewald (KV PI), Uta Amann (KV KI), Kirk Fünderich (KV Plö), Regina Kluender (KV KI), Franz Furkert (KV Plö), Gudrun Rempe (KV RD), Petra Greve (KV RD), Valerie Wilms (KV PI), Stefanie Kohlmorgen (KV Plö), Irmtraud Mitzkus (KV NF), Tilman Steiner (KV OH) |
Status: | Modifiziert |
Eingereicht: | 30.09.2019, 16:11 |
Antragshistorie: | Version 1(30.09.2019) Version 1(25.10.2019) |
Kommentare
Stephan Wiese:
.Und am Rande:Die Mehrzahl von Muslima ist nicht Muslimase,sondern Muslima.
Sybille Duckek:
Christian Busch:
Im Verlauf der bisherigen Diskussion ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass die Vollverschleierung keine religiöse Kleidervorschrift, kein islamisches Symbol ist. Ich ergänze: Wohl aber ein islamistisches Symbol. Die Böse Weiße Alte Frau Franziska Becker hat in einem Interview mit dem Spiegel festgehalten: "Der Islamismus ist eine faschistische Ideologie." Wir tun also gut daran, sorgfältig abzuwägen, wem wir den Boden bereiten und welchen Anfängen wir wehren wollen.
Die in Teilen ungeklärte, in Teilen pseudoliberal aufgeschlossene Haltung zur Pädophilie Anfang der 1980-iger Jahre ist den Grünen zu Recht Jahrzehnte später schwer auf die Füße gefallen. Die Maxime unseres Handelns muss -jenseits aller Blasen des Zeitgeistes und gerade im Angesicht weltweit erstarkter totalitaristischer Bestrebungen- auch in zwanzig oder dreißig Jahren noch Bestand haben.
Freiheiten können nicht nur großzügig gewährt, sie müssen auch verteidigt werden.
Hans-Peter Hopp:
Unsere Partei engagiert sich auf Landes-, Bundes- und Europaebene weltweit gegen eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen. Das Thema „Vollverschleierung in der Bundesrepublik / Schleswig-Holstein“ hat dabei angesichts der sehr begrenzten Dimension und der geringfügigen Häufigkeit auftretender Probleme in dieser Frage bisher keine Priorität. Unsere Partei sollte sehr klar Stellung beziehen, wenn die Vollverschleierung instrumentalisiert wird, um im Namen der Menschen- und Frauenrechte bestimmte Bevölkerungsgruppen und Religionsgemeinschaften zu stigmatisieren oder fremdenfeindliche und islamfeindliche Ängste zu schüren. Gleichwohl eint uns Grüne die Sicht, dass eine Vollverschleierung Ausdruck einer patriarchalisch überkommenen Weltsicht sein kann, deren Ideologie wir ablehnen. Was uns hier trennt, ist die Frage, ob ein Vollverschleierungsverbot eine sinnvolle und grundrechtsangemessene gleichstellungspolitische Lösung darstellt – zumal in der beantragten Dimension. Demgegenüber steht der Weg des kritischen Diskurses, der Aufklärung, der Stärkung von Beratung und Schutz, der auf Einsicht, Erkenntnis und emanzipatorische Veränderung durch Teilhabe setzt. Ein Verbot ist ein fragwürdiges Mittel einer ausgrenzenden Politik. Der VVV-Antrag in dieser Form erscheint als Ansatz des „negative Campaigning“ und zeigt keine konkreten positiv umsetzbaren Handlungsschritte auf. Der behauptete emanzipatorische Handlungsdruck gegenüber dieser Ausdrucksform religiösen Bekennens wird durch die Antragsteller*innen nicht belegt – er ist nach vorliegenden Studien sehr stark zu bezweifeln.
Hans-Peter Hopp:
Zunächst einmal ist eine Hierarchisierung der Rechtsprechungsorgane aufgrund ihrer Richtungsweisung aufzuzeigen: Die Aussagen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes (EGMR) haben in Deutschland den Rechtsrang eines „einfachen Gesetzes“ über dem die grundgesetzlichen Normen und die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes stehen. Das deutsche Grundgesetz gilt hinsichtlich des Schutzes menschlicher Grundrechte als weltweites Vorbild. Der EGMR stützte die VV-Verbote in Frankreich und Belgien auch nicht generell. Er hielt in seinem sehr differenzierten Urteil vielmehr fest, dass die von Frankreich und Belgien angeführten Argumente der öffentlichen Sicherheit und der Geschlechtergleichstellung keine hinreichenden Gründe für ein Vollverschleierungsverbot seien. Jedoch kam das Gericht zum Schluss, das Tragen einer Vollverschleierung verstoße im konkreten Fall, den es zu beurteilen galt, gegen gesellschaftliche Normen und beeinträchtige das „soziale Zusammenleben“. Diese sehr unspezifische Aussage hält den hohen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes nach den bisherigen Erfahrungen nicht stand. Der EGMR nahm aber ausdrücklich auch nicht in Anspruch, eine für alle europäischen Regionen geltende Norm gesetzt zu haben, sondern wies ausdrücklich auf die wertekonforme dezentrale Regelungsmöglichkeit hin.
Für uns Grüne sollte diese Argumentation des EGMR mit Blick auf die Meinungsäußerungsfreiheit sehr beunruhigend sein: In seiner Quintessenz bedeutet sie, dass eine Frau keinen Vollschleier tragen darf, weil dies anderen Menschen unangenehm sein könnte. Das ist aber nach den Normen des Grundgesetzes keine hinreichende Begründung, um jemandem den Ausdruck einer Überzeugung zu verbieten oder ein bestimmtes Verhalten zu untersagen, das in seiner reinen Form keines Menschen grundlegende Rechte offensiv verletzt. Der UN-Menschenrechtsausschuss kam hinsichtlich der Verbote in Frankreich bereits 2018 zu dem Schluss, dass diese gesetzlichen Regelungen gegen die allgemeinen Menschenrechte verstoßen. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit sehr differenzierte Urteile im Spannungsfeld widerstreitender Grundwerte gefällt und deutliche, enge Grenzen für deren Einschränkung gezogen. Hier ist das in Deutschland entwickelte Rechtsprinzip der „praktischen Konkordanz“ zu berücksichtigen. Die im Grundgesetz garantierten Grundrechte sind unteilbar, universell und somit nicht hierarchisiert. Das Prinzip der praktischen Konkordanz sucht nach einem Ausgleich in den Fällen, in denen gleichrangige Verfassungsnormen miteinander kollidieren – und das ist hier ohne Zweifel der Fall! Im Sinne dieses verfassungsrechtlichen Umganges mit miteinander in Konflikt stehenden Grundrechten ist die Trag- / Wirkungsweite eines Vollverschleierungsverbotes gemäß des vorliegenden Antrages völlig inakzeptabel. Der Antrag verfolgt die weitreichende Aufhebung eines verfassungsrechtlich garantierten Grundrechts zulasten einer definierten Zielgruppe. Ein weiterer Aspekt, der den vorliegenden VVV-Antrag nicht zustimmungsfähig macht, ist die fehlende sachliche Zweckmäßigkeit und gesellschaftliche Relevanz, eine gesetzliche Regelung zum Ausgleich zwischen im Konflikt stehenden Grundrechten zu erlassen.
Hans-Peter Hopp:
Die Analyse dieses europaweiten Diskurses führt in das Jahr 2005 zurück und ist mit dem Namen Geert Wilders in den Niederlanden verbunden. Ein Mann, dessen Wirken „Die Zeit“ bescheinigte, wie wenig man brauche, „um ein Land zu verhexen“. Von hier nahm der islamophobe und undifferenzierte Angriff auf die Glaubensfreiheit seinen populistisch wirkenden Ausgang und zeichnete Schreckensbilder, mit denen die gesamte muslimische Glaubensgemeinschaft unter einen Generalverdacht gestellt und das Szenario einer nicht mehr zu beherrschenden Dynamik der Islamisierung unserer Gesellschaft konstruiert wurde.
In Schleswig-Holstein teilte Bildungsministerin Karin Prien laut taz noch im Februar 2019 mit, dass sich Probleme im Kontext von Vollverschleierung an Schleswig-Holsteins Schule nicht wahrnehmen ließen. Die Hochschulen in unserem Lande gaben Stellungnahmen im Anhörungsverfahren des Landtages ab, die abweichend von dem öffentlichkeitswirksamen Einzelfall an der CAU keinen Regelungsbedarf im Sinne eines Vollverschleierungsverbotes (VVV) aufzeigten. Um welches qualitative und quantitative Ausmaß einer Grundwerte-Kollision geht es also eigentlich in unserem Bundesland? Das ist in Schleswig-Holstein nicht wirklich belastbar dargelegt, ganz zu schweigen von einem empirisch belegten Problemnachweis. Die Grüne Jugend S.-H. hat sich auf ihrer LMV im März dieses Jahres in Lübeck mit dieser Frage befasst und ist zu dem klaren Beschluss gekommen, einem VVV nicht zuzustimmen. Die Beschlusslage auf Landes- und Bundesebene ist auf Integration durch Diskurs und Diskussion angelegt und nicht auf einseitige Verbote zulasten von Grundrechtsträger*innen.
Die Neue Züricher Zeitung (NZZ) hielt angesichts der aufkeimenden Debatte in der Schweiz fest, dass es eines Verbotes nicht bedürfe, weil es das Problem gar nicht gebe. Studien hatten für die Schweiz eine Fallzahl von deutlich unter 100 dort mit festem Wohnsitz gemeldeten Frauen ermittelt, auf die das Verbot anzuwenden gewesen wäre. Die Schweiz hat auf das VVV verzichtet, und zwar auch durch die Mitwirkung der dortigen Grünen.
In Dänemark ist trotz einer sehr geringen Fallzahl von ca. 200 Frauen mit Vollverschleierung eine Verbotslinie verabschiedet worden. Die dänischen Grünen stimmten dagegen, konnten diese diskriminierende Symbolpolitik aber nicht stoppen.
In Belgien haben Studien eine Fallzahl von „ein paar Dutzend Frauen“ ermittelt, auf die das dortige Verschleierungsverbot anzuwenden ist. Die belgischen Grünen stimmten in einer sehr aufgeheizten Stimmung gegen das VVV.
In Frankreich haben entsprechende Studien ergeben, dass ca. 2000 Frauen nach den Kriterien der neuer erlassenen Verschleierungsverbote zu betrachten seien. Die Grünen in Frankreich argumentierten ebenfalls gegen das VVV.
In den Niederlanden hat sich die Wilders-Linie nach jahrelanger Diskussion jüngst durchgesetzt. Studien gehen hier streuend von 100 bis 450 Frauen aus, auf die die Bekleidungsvorschriften anzuwenden sein werden. Die Grünen in den Niederlanden sprachen sich gegen das VVV aus. Die grüne Bürgermeisterin Amsterdams, Femke Halsema, distanzierte sich kritisch von den Regelungen und machte auf die diskriminierend wirkenden Amtshandlungen zur Durchsetzung des VVV aufmerksam. Ärzt*innen, Polizist*innen, Behördenmitarbeiter*innen schlossen sich den kritischen Hinweisen an.
Wenn jetzt „gefühlte Zweifel“ an der hier referierten Zahl vollverschleierter Frauen aufkommen, ist das eher ein Beleg für eine undifferenzierte Sicht auf die Vielfalt muslimisch geprägter Bekleidungsformen für Frauen, aber hier ist einzig die sehr seltene Vollverschleierung gemeint, auf die sich der Antrag bezieht. Die Grünen sollten einem Eingriff in das Grundrecht der Religions- und Glaubensfreiheit in der von den VVV-Befürworter*innen beantragten Tragweite aufgrund der nicht belegten und auch nicht zu erwartenden quantitativen Relevanz nicht zustimmen.
Hans-Peter Hopp:
Zwang, Nötigung und Körperverletzung sowie die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmungsrechte sind bereits Tatbestände, gegen die in der Bundesrepublik strafrechtlich vorgegangen werden kann. Aber wie bei vielen anderen Frauenrechtsverletzungen, die sehr oft straflos bleiben, gilt auch hier: Voraussetzung für die tatsächliche Durchsetzung von Menschenrechten ist, dass die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit Frauen ihre Rechte in voller Freiheit ausüben und einfordern können. Dazu zählen in diesem Kontext zum Beispiel migrations- und integrationspolitische Maßnahmen, die die besondere Situation von oft mehrfach diskriminierten Frauen anerkennen und berücksichtigen sowie die Bereitstellung von soziokulturellen Angeboten, die das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und ihre Teilhabe am öffentlichen Leben und an allen sie betreffenden Entscheidungen fördern. Die Sicherstellung und der Ausbau von Beratungsstellen und sicheren Zufluchtsorten (Frauenhäuser) für Frauen sollte in der grünen Politik Vorrang vor diskriminierenden Verbotsstrategien haben.
Hans-Peter Hopp:
Kritisch zu sehen ist desweiteren, dass die VVV-Befürworter*innen jegliche Pluralität innerhalb der politischen Schwerpunkte „Feminismus“, „Migration“, „Säkulare“ oder „Bildung“ zu dieser Frage in ihrem Antrag außer Acht lassen.
Kritisch zu sehen ist weiterhin, dass mit dem LPT-Antrag eine vorzeitige Setzung erfolgen soll, bevor z.B. durch das bemerkenswert umfangreiche Anhörungsverfahren im Landtag weitere Erkenntnisse in die Diskussion einfließen können. Geradezu erkenntnisfeindlich ist der beantragte Beschlussteil, dass dieser sogar unabhängig von anderslautenden Ergebnissen und Mehrheiten im Anhörungsverfahren bindend in die Zukunft wirken soll. Dieser Passus belegt, dass ein Beschluss eines LPTs nicht zu diesem Zeitpunkt, sondern ganz im Gegenteil erst im Lichte der Erkenntnisse des Anhörungsverfahrens erfolgen sollte. Daraus ergäbe sich auch inhaltlich und zeitlich Raum zum fundierten innerparteilichen Meinungsbildungsprozess.
Verfassungsrechtlich untragbar ist die im Antrag formulierte und formalrechtlich zu verstehende Bindung der Mandatsträger*innen an den hier beantragten Beschluss. Es entspricht dem grünen Selbstverständnis, dass Mandatsträger*innen die LPT-Beschlüsse in ihrem parlamentarischen Wirken umsetzen, aber formalrechtlich sind sie einzig ihrem Gewissen verpflichtet.
Claudia Ulrich:
Martin Drees:
Ute Lefelmann-Petersen:
Die Haltung zum Thema Vollverschleierung sollte vielleicht nicht in erster Linie an messbaren Zahlen in Europa festgemacht werden, denn es geht aus meiner Sicht um eine grundsätzliche Werte-Frage:
Wollen wir die Unsichtbarmachung von Frauen in Europa tolerieren? Oder widerspricht die Unsichtbarmachung von Frauen unserem Streben nach Gleichberechtigung und nach Befreiung aus alten Rollenzuschreibungen im Kontext der europäischen Geistes- und Kulturgeschichte?
Ich glaube, in diesem Punkt kann es nur um eine klare Positionierung gehen, die in ganz Europa vorgenommen werden müsste.
Ich finde es eher bedenklich, dass der Diskussionsbedarf in der Partei nicht wahrgenommen wird. Eigentlich, so meine Sicht, müsste diese Diskussion mutig gesetzt werden auf dem LPT, zumal wir uns mit dem Grundsatzprogramm ja offenbar auch weiterentwickelt haben. Die Beschlüsse von 2016 sind nicht in Stein gemeißelt und bedürfen aus meiner Sicht einer Überprüfung.
Stephan Wiese: